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Quelle: E&M
AUS DER AKTUELLEN AUSGABE:
„Wir wollen einen Schritt weiter gehen“
Badenova-Vorstand Hans-Martin Hellebrand ist überzeugt, dass die Industrie einen großen Beitrag zur Flexibilisierung des Energiesystems leisten kann.
Zur Person
Hans-Martin Hellebrand ist seit 2021 im Vorstand der Badenova und leitet seit Mai 2024 das Unternehmen allein. Zuvor war er
Geschäftsführer der Eon-Vertriebsgesellschaft Eprimo sowie des IT- und Prozessdienstleisters „rEVUlution“. Der Diplom-Kaufmann
begann seine berufliche Laufbahn bei RWE und baute unter anderem für Innogy das Innovationscenter im kalifornischen Silicon
Valley auf.
E&M: Herr Hellebrand, die Versorgung ist nicht mehr die Hauptaufgabe der Versorger. Würden Sie das unterschreiben?
Hellebrand: Für uns als Energieunternehmen geht es nicht mehr in erster Linie darum, die Versorgung von Verbrauchern zu gewährleisten, sondern das Gesamtsystem aus Erzeugung und Verbrauch zu orchestrieren. War früher für uns als Versorger der Verbrauch quasi gottgegeben, ist es heute die regenerative Erzeugung. Entsprechend gewinnt der Verbrauch als Steuergröße zum Ausbalancieren des Systems an Bedeutung.
„Die Industrie bietet einen viel größeren Hebel“
E&M: Dann spielen die Verbraucher im Orchester die erste Geige?
Hellebrand: Das kann man so sagen. Wir haben zwar nicht so viel Industrie wie im Ruhrgebiet, aber entlang der Rheinschiene und im Dreiländereck haben auch große Verbraucher ihren Sitz. Denken Sie nur an die Badischen Stahlwerke. Die Industrie kann einen großen Beitrag zur Flexibilisierung des Gesamtsystems leisten und ist deshalb ein ganz wichtiger Partner für uns.
E&M: Weiß das die Industrie?
Hellebrand: Ich fürchte, viele Industrieunternehmen und Energieversorger wissen nicht oder unterschätzen zumindest, welches Potenzial sie haben. Dabei gibt es viele Gelegenheiten, durch die Flexibilisierung des Verbrauchs für beide Seiten eine Win-win-Situation zu schaffen. Ganz besonders deutlich wird das in Zeiten negativer Preise. Wenn es da möglich ist, die Produktion auszuweiten, bekommt die Industrie sogar noch Geld dafür und die Netzbetreiber müssen keine Einspeiser abregeln. Aber auch in Zeiten, in denen keine negativen Preise auftreten, kann es sich für die Industrie lohnen, die Produktion auszuweiten und so einen Beitrag zur Integration der Erneuerbaren ins Stromnetz zu leisten. Die Netzbetreiber profitieren davon, indem der Netzausbaubedarf oder der Bedarf an neuen Trafos oder Speichern reduziert wird. Umgekehrt gilt das genauso, wenn wenig regenerativer Strom verfügbar ist und die Industrie die Produktion zurückfährt. Es gibt ja schon eine Reihe von Ansätzen aus unterschiedlichen Smart-Grid-Pilotprojekten, die Verbraucher hier einzubeziehen und sogar deren Flexibilität besonders zu entlohnen. Aus meiner Sicht kommt das in der Praxis aber noch viel zu kurz.
E&M: Warum liegt das Potenzial noch brach?
Hellebrand: Es muss jemanden geben, der das System aussteuert. Ich bin überzeugt, dies ist einer der wichtigsten und zukunftsträchtigsten Business Cases für die Energiewirtschaft. Aber das Aussteuern ist natürlich nur möglich, wenn die entsprechende Datengrundlage dafür vorhanden ist und die Digitalisierung einen hohen Grad an Automatisierung der Prozesse gewährleistet.
E&M: Ist dies schon ein Geschäftsmodell der Badenova?
Hellebrand: Wir sind in den Vorbereitungen. Ein spezielles Team kümmert sich seit zwei Jahren um das Thema CO2-freie Industrie und treibt somit die Transformation der Industrie in Südbaden voran. Wir schauen uns in den Betrieben mit den Verantwortlichen zusammen ganz genau die Produktion an. Ende des vergangenen Jahres haben wir mit Schwarzwaldmilch ein weiteres Projekt gestartet, um deren Abwärme für unsere Fernwärme nutzbar zu machen. Wir wollen aber einen Schritt weiter gehen und zeigen, wie die Industrie durch die Flexibilisierung einerseits einen monetären Nutzen erzielen und andererseits zur Stromnetzstabilisierung beitragen kann.
E&M: Welche Rolle spielen die Privathaushalte für die Flexibilisierung?
Hellebrand: Mit flexiblen Tarifen und mit Heimenergiemanagementsystemen kann man sicherlich Flexibilitätspotenziale bei den Haushalten heben. Dies haben wir bereits im Blick und haben auch dazu eine Innovationskooperation mit Viessmann geschlossen. Die Industrie bietet hier noch einen viel größeren Hebel, den man auch in ganz spezifischen Situationen sehr kurzfristig einsetzen kann. Voraussetzungen sind aber, dass wir den Schritt in die Produktionshalle gemacht haben und dass die Digitalisierung eine automatisierte Steuerung ermöglicht.
„Es gibt auch sehr gute in Deutschland ausgebildete IT-Profis“
E&M: Wer macht den Schritt in die Produktionshalle? Speziell ausgebildete Mitarbeiter?
Hellebrand: Ja, wir brauchen Mitarbeitende, die genau wissen, was in den Industrieprozessen passiert. Letztlich müssen sie Prozessberatung machen. Und ganz allgemein müssen sie sehr kundenzentriert denken. Denn nur wenn der Kunde sich überhaupt dazu bereiterklärt, die bisherigen Produktionsprozesse zu überdenken und gegebenenfalls zu flexibilisieren, erreichen wir die Win-win-Situation. Das erfordert sehr viel Branchenexpertise und Kommunikation.
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Hans-Martin Hellebrand
Quelle: Badenova
Quelle: Badenova
E&M: Sie haben die Digitalisierung und Automatisierung angesprochen. Dafür brauchen Sie aber auch Fachkräfte. Die bisherigen Mitarbeiter Ihrer IT-Abteilung oder Harvard-Absolventen?
Hellebrand: Wir brauchen keine Harvard-Absolventen. Es gibt auch sehr gute in Deutschland ausgebildete IT-Profis. Aber klar ist, wir werden in Zukunft andere, zumindest zusätzliche Qualifikationen benötigen als diejenigen, die bisher in der IT gefragt waren. Deshalb haben wir gerade ein IT-Team aufgebaut, das sich mit der Frage beschäftigt, welche Mehrwerte man mit welchen Tools generieren kann.
E&M: Welche Rolle spielt dabei künstliche Intelligenz?
Hellebrand: Die KI ist ein wesentliches Betätigungsfeld dieses Teams. Wichtig ist aber, das Thema KI nicht primär von der Technologie, sondern von den Möglichkeiten, also den Kundenmehrwerten, her zu erschließen. Daher arbeitet das Team eng mit den Fachabteilungen zusammen, da von dort die energiewirtschaftlichen Daten und Problemstellungen kommen, sowie eng mit den Kolleginnen und Kollegen der ‚klassischen‘ IT, weil diese für die Infrastruktur sorgen.
E&M: Welchen Nutzen sehen Sie in der KI?
Hellebrand: Damit können wir einen deutlichen Mehrwert bei allen möglichen Prognosen, bei der Mustererkennung beziehungsweise der Suche nach Auffälligkeiten, bei der Optimierung und bei der Automatisierung von Geschäftsprozessen erreichen. Für das Orchestrieren und Aussteuern des Energiesystems sind diese Mehrwerte entscheidend. Schließlich müssen Daten aus ganz unterschiedlichen Systemen zusammengeführt werden. Im Hinblick auf industrielle Flexibilitäten sind das neben dem Netzzustand, den Strompreisen und den Erzeugungsprognosen beispielsweise auch die Verbrauchsprognosen, die Anlagenfahrweise, vielleicht auch die Marktpreise der produzierten Güter und die Risikoabsicherung von Lieferverpflichtungen der Industrie.
E&M: Haben Sie die Hoffnung, dass die Handhabung der künstlichen Intelligenz mit der Zeit weniger komplex wird und die Energieversorger gar nicht mehr so viele IT-Spezialisten benötigen, die sich damit beschäftigen?
Hellebrand: Ich denke schon, dass es mittelfristig KI-Tools geben wird, die so einfach anzusteuern sein werden wie eine Internetsuchmaschine. Am Prompting von ChatGPT kann man schon sehen, wie schnell sich die Handhabung verändert und vereinfacht. Es kann durchaus so weit kommen, dass automatisiert Daten ins System importiert werden und dann das Netz und der Industriebetrieb simultan mit einem Befehl optimiert werden. Vielleicht gibt es ja irgendwann auch einmal Energiesystemoptimierung-as-a-Service. Das kann ich mir gut vorstellen.
Gottgegebene Erzeugung
Mit durchschnittlich 1.855 Sonnenstunden war Baden-Württemberg dem Deutschen Wetterdienst zufolge zusammen mit Bayern das
sonnenreichste Bundesland 2023.
Ab 2035 will Badenova pro Jahr 310.000 Menschen (Einwohnerzahl von Freiburg: circa 230.000) mit Solarstrom versorgen. Bis 2035 soll insgesamt 1 GW Leistung aus erneuerbarer Stromerzeugung installiert werden, jeweils 500 MW Solarenergie und Windenergie. Eigene regionale Solaranlagen sollen 300 MW besteuern, bundesweite Beteiligungen weitere 200 MW.
Unter der Bezeichnung „Vino-PV“ hat Badenova am Tuniberg im Breisgau rund 1.600 lichtdurchlässige PV-Module installiert, die jährlich etwa 300.000 kWh Strom produzieren und nach Angaben des Unternehmens rund 120 Tonnen CO2 einsparen. Gleichzeitig schützen die Module die Reben im Weinberg vor Frost, Hagel, Starkregen und Sonnenbrand.
Die Photovoltaikanlage auf dem Stadion des SC Freiburg ist laut Badenova das weltweit zweitgrößte Solardach auf einem Fußballstadion. Es deckt mit 6.200 Photovoltaikmodulen den Jahresstrombedarf des Stadions. In Sichtweite des Stadions hat Badenova einen Solar-Radweg eingerichtet. Dieser ist mit Glas-Glas-Modulen überdacht, die pro Jahr etwa 280.000 kWh PV-Strom liefern.
Ab 2035 will Badenova pro Jahr 310.000 Menschen (Einwohnerzahl von Freiburg: circa 230.000) mit Solarstrom versorgen. Bis 2035 soll insgesamt 1 GW Leistung aus erneuerbarer Stromerzeugung installiert werden, jeweils 500 MW Solarenergie und Windenergie. Eigene regionale Solaranlagen sollen 300 MW besteuern, bundesweite Beteiligungen weitere 200 MW.
Unter der Bezeichnung „Vino-PV“ hat Badenova am Tuniberg im Breisgau rund 1.600 lichtdurchlässige PV-Module installiert, die jährlich etwa 300.000 kWh Strom produzieren und nach Angaben des Unternehmens rund 120 Tonnen CO2 einsparen. Gleichzeitig schützen die Module die Reben im Weinberg vor Frost, Hagel, Starkregen und Sonnenbrand.
Die Photovoltaikanlage auf dem Stadion des SC Freiburg ist laut Badenova das weltweit zweitgrößte Solardach auf einem Fußballstadion. Es deckt mit 6.200 Photovoltaikmodulen den Jahresstrombedarf des Stadions. In Sichtweite des Stadions hat Badenova einen Solar-Radweg eingerichtet. Dieser ist mit Glas-Glas-Modulen überdacht, die pro Jahr etwa 280.000 kWh PV-Strom liefern.
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Mittwoch, 19.06.2024, 08:50 Uhr
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